"Wir erkennen Casanovas an der Zerbrechlichkeit ihrer Beziehungen: Sie gehören der Bruderschaft von getrennt lebenden Einzelgängern und geschiedenen Ehemännern an. Wir erkennen sie an ihrem umfangreichen Tross von Geliebten und Freundinnen."
Der Mythos
"Der historische Prototyp ist Jacques Casanova de Seingalt, der im 18. Jahrhundert als Verführer Karriere machte. In seinen Memoiren beschrieb er sich selbst als "Junggeselle, dessen Hauptanliegen im Leben die Kultivierung der Sinne war". (...) Über seine sexuellen Techniken hinterließ er keine Aufzeichnungen, auch in seinen Memoiren findet man nichts darüber. Gewiss aber war Casanova eine romantische Figur, weit gereist, belesen und draufgängerisch, ein Mann, der sich nie vor einem Duell drückte.
(...) Um diese unermüdlichen Verführer (Casanova, Don Juan, Don Giovanni (Anm.)) hat sich ein noch verführerischerer Mythos gerankt. Es handelt sich um den Mythos des ewigen Frauenhelden, der unersättlich und unwiderstehlich ist. Seine Liebe zu Frauen ist so stark, dass er sich niemals nur auf eine einzige beschränken kann. (...) Vielleicht ist er ein Abkömmling von Zeus, der einst Göttinnen wie Sterbliche liebte und so hartnäckig sein Ziel verfolgte, dass er sich dafür sogar in einen Stier, einen Schwan oder einen Goldregen verwandelte.
(...) Aus seiner eigenen Sicht repräsentiert der Casanova den Mann in seiner wahren Gestalt: Er ist der edle Wilde, der sich mit seinem Harem vergnügt, um seinen Samen so weit wie möglich zu verstreuen. Der Name Casanovas wird nicht wie der de Sades oder Sacher-Masochs benutzt, um eine Perversion zu bezeichnen. Im Gegenteil, er bedeutet eine Art stillschweigende Anerkennung dessen, was als normal gilt. (...) Wenn er der Zähmung entgeht, dann flieht er vor den Einschränkungen, die eine Ehe mit sich bringt.
(...) Und wenn er seine Freundin verlässt, bedeutet das nicht, dass der Mann ein Schurke ist, sondern dass die Frau irgendwie versagt hat (...)."
Die Wahrheit
"Der Casanova wirkt nach außen hin oft dynamisch und selbstsicher, gepflegt, beruflich kompetent und sexuell erfahren. Diese Eigenschaften kompensieren aber nicht die Mängel, die er in seinem Kern spürt. Früher oder später gibt selbst der erfolgreichste Casanova sein Gefühl von Leere und Verlust zu, gewöhnlich in einem verschleierten Rettungsappell an eine geeignete Frau."
In Wahrheit ist der Casanova ein Süchtiger, der in Frauen niemals Menschen sehen kann. Für ihn ist eine Frau kein Gegenüber. Die Frau ist seine Droge und in ihrem ganz persönlichen Sein völlig uninteressant. Unter dem Einfluss seiner Droge ist er vielleicht brillant, doch gilt diese Brillanz nicht der "Geliebten", sondern wird durch sie lediglich ausgelöst. Erlischt die euphorisierende Wirkung, erscheint ihm die Frau plötzlich abstoßend und unzulänglich. In Wirklichkeit ist der Casonava kein Mann, der Frauen liebt. Er braucht sie und verachtet sie deswegen.
Er ist ein Mann, der Frauen hasst, wie ein Süchtiger seine Droge hasst. Immer ist er auf der Suche nach dem ultimativen Kick, nach der ultimativen Droge, der ultimativen - der "richtigen" - Frau.
Er sucht die Droge, deren Wirkung niemals endet.
Alle Zitate auf dieser Seite sind dem Buch "Der Casanova-Komplex" von Peter Trachtenberg entnommen.